Worte entlarven

Warum bestehen im Moment mal wieder so viele ‘Ich bin ja kein Rassist’-Kommentierer darauf, ihren Kindern dringend ein Wort beizubringen, dass eindeutig rassistisch ist?

Ich habe ja vor zwei Tagen bei Scilogs, in meinem literaturwissenschaftlichen Blog Con Text, schon über die aktuelle Lektoratsarbeit des Thienemann Verlags geschrieben. Auch der geschätzte Florian Freistetter griff das Thema auf und schlägt sich seitdem mit einer Horde herum, die darauf besteht, ihren Kindern ‘Neger’ beizubringen. Ich verstehe diese Leute nicht.

Stellen wir uns mal vor, es ginge um ein Kinderbuch, in dem der Autor in seiner Stimme ‘Spasti’ geschrieben hätte. Kurzform von Spastiker, ehemals Bezeichnung von Menschen, die an spastischen Anfällen leiden. Aus guten Gründen heute nicht mehr gebräuchlich, u.a. weil es stark beleidigend ist. Würden da auch so viele drauf bestehen, dass ja alles in Ordnung wäre, ist doch alles neutral und überhaupt sollen die sich nicht so anstellen?

Ich weiß, Letzteres wird so offen nicht gesagt, aber es schimmert immer wieder durch, in der Art ‘Die paar können uns doch nicht …’. Ja, genau so klingt das, was da gerade abläuft. Vielleicht ist das auch der wesentliche Punkt, weshalb so viele gedankenlosem Rassismus aufsitzen: Sie sehen zu wenige Schwarze in Deutschland. Anders in den USA, das einen erheblich höheren Anteil Schwarzer aufweist, weshalb dort vermutlich auch die Sensibilität um das Thema ‘Rassismus’ höher ist.

Das Kernargument derjenigen, die auf dem beleidigenden, rassistischen Wort bestehen, ist die durch nichts gestützte These, es wäre früher ganz neutral gewesen. Abgesehen davon, dass dieses Originalitätsargument – einem Wort wird nur eine Bedeutung zugestanden, und zwar die, die angeblich irgendwann mal die originale Denotation war –, unsinnig ist und jedem Linguisten Zornesröte ins Gesicht steigen lässt, ist es bezogen auf Die kleine Hexe leider falsch.

Seit den 1920ern wird in Deutschland das Wort ‘Negermusik’ eindeutig abwertend, von den Nazis sogar als Kampfbegriff, gemeint. Es sollte selbst dem Verbohrtesten offensichtlich sein, dass nicht das zweite Hauptwort den Gesamtbegriff zu einem Schimpfwort modifiziert, sondern eben der Teil, um den es jetzt Streit gibt. Und dieser Begriff wurde auch noch in den 1950ern und 1960er – vereinzelt hörte ich es noch in den 1970ern – verächtlich benutzt.

Denen, die darauf bestehen, das Wort im alltäglichen Umgang zu benutzen, denen, die es ihren 5-8-jährigen beibringen möchten – selbstverständlich immer mit zutiefst pädagogischen Nachtgesprächen und Bibliotheksbesuchen –, sollen dies gerne tun. Unter der Voraussetzung, dass sie auch die Konsequenzen tragen, zu denen im harmlosesten Fall Gespräche mit Klassenlehrern und Schuldirektorinnen gehören. Im schlimmsten Haue [‘tschuldigung: Wichse].

Es fällt natürlich leicht, in einer wesentlich kaukasisch-europäischen Gesellschaft zu leben, in der die Gefahr auf Schwarze zu treffen eher gering ist, somit eine Konfrontation unwahrscheinlich. Oder man läuft in Gruppen rum, die jeden, der sich über die Nutzung von ‘Neger’ beschweren könnte, Angst macht. In der US-amerikanischen Satire Kentucky Fried Movie gibt es ein kurzes Segment über Rex Kramer – Danger Seeker. Der wandert alleine in eine Gruppe junger schwarzer Männer und schreit laut ‘nigger’.

Ja, zeigt jedem offen eure Haltung. Aber lasst eure Kinder aus dem Spiel!

Nachbemerkung

Ich halte Otfried Preußler nicht für einen Rassisten. Ich halte das von ihm damals benutzte Wort für ungeschickt gewählt, auch weil es für das, was er in der entsprechenden Passage zeigen will [lt. Aussagen Thienemann Verlag], völlig überflüssig ist. Die Instanz ist fraglos rassistisch, gedankenlos rassistisch, nicht böswillig.

Ich bin ein großer Fan von Preußlers Geschichten, er ist einer der wenigen deutschsprachigen Schriftsteller nach 1945, die ich immer wieder gerne lese. Sein Krabat gehört zu meinen absoluten Lieblingen.

10 thoughts on “Worte entlarven”

  1. Gefahr auf Schwarze zu treffen eher gering ist

    Hmm, das ist mir als Großstadtmensch noch nicht so aufgefallen; ich war sehr verwundert über die ganzen Leute, die anscheinend ihren Kindern Wörter beibringen wollen, mit denen sie ihre Kindergartenkumpels und Klassenkameradinnen (vielleicht sogar ungewollt) beleidigen. Aber wenn sie gar keine Schwarzen kennen…

    Was die ganzen “Zensur”-Schreier auch ignorieren: Die Änderung ist mit dem Autor abgesprochen, der Verlag handelt hier keinesfalls eigenmächtig. Das korrekte “Argument” wäre also “sogar berühmte Autoren wie Otfried Preußler müssen sich der allgegenwärtigen political correctness beugen und werden zur Selbstzensur genötigt”. Oder so.

  2. Bei “Negermusik” dürfte ein abwertender Gebariuch tatsächlich weit überwiegen. Das läßt aber keinen zwingenden Schluß für das Wort “Neger” zu. Beispiel:

    “Zwischen der Musik der Neger, der
    Weißen, der amerikanischen Ureinwohner (Indianer)
    fanden gegenseitige Beeinflussungen statt, die regional
    zu verschiedenen Stilen führten…

    Vgl. auch “Die Negerplastik”, Buchtitel von Carl Einstein.

  3. Volle Zustimmung. Ich weiss nicht genau, in welchem Jahrhundert wir leben, dass tatsaechlich Leute diskutieren ob das Wort jetzt schlimm ist oder nicht. Das ist unfassbar!

  4. Pingback: Schavan-Rorschach – du bist was du assoziierst | Erbloggtes

  5. Ich lasse mein Kind ja auch keine Bücher lesen, in denen Fäkalsprache gepflegt wird, oder alle Frauen als Nutten bezeichnet werden – nur als Beispiel. Verstehe auch nicht, wieso so viele darauf beharren, ihren Kindern das N-Wort in einem positiv- neutralen Kontext beizubringen.

  6. formatted_brain

    Zitat Joerg:
    “Volle Zustimmung. Ich weiss nicht genau, in welchem Jahrhundert wir leben, dass tatsaechlich Leute diskutieren ob das Wort jetzt schlimm ist oder nicht. Das ist unfassbar!”

    Ist das wirklich so? Vielleicht kann ich da etwas beitragen:
    Ich bin in der damaligen DDR aufgewachsen und dort war “Neger” als Oberbezeichnung fuer Schwarze gaengig und nicht rassistisch konnotiert. Fuer mich ist das Wort tatsaechlich nicht schlimm, allerdings bekomme ich natuerlich mit dass das anderswo nicht so gesehen wird. Trotzdem finde ich, sollte man (also Du, Joerg), bitte jedem seine eigene Sozialisiation zugestehen, ohne bei abweichender Einschaetzung direkt empoert die Rassismus-Keule hervorzuholen.

    Wie man an der haeufigen Selbstbezeichnung “Negro” in Martin Luther Kings “I have a dream” sieht, war Mitte des 20. Jh dieser Begriff auch in den USA nicht rassistisch besetzt und als Selbstbezeichnung ind er schwarzen gemeinschaft gaengig – unabhaengig vom damals selbstverstaendlich vorhandenen gesellschaftlichen Rassismus.
    Dabei ist im uebrigen klar zu unterscheiden von “Nigger”- das war sowohl hier als auch in den USA seit eh und je beleidigend gemeint.

    Ich persoenlich finde, dass es darum gehen sollte, den gesellschaftlichen Rassismus per se zu bekaempfen, also die entsprechenden Gedanken. Ich sehe das parallel zu “Jude”- das ist an eine neutrale Gruppenbezeichnung, die im dritten Reich wegen des gesellschaftlichen Rassismus abwertend und chauvinistisch gebraucht wurde. Durch die (ueberwiegende) Ueberwindung des Antisemitismus kann es inzwischen wieder neutral gebraucht werden und das ist auch gut so. Haette eine Wortpolizei da weitergeholfen?

    Der Zentralrat der Juden koennte auch permanent auf den faschistischen Konnotationen herumreiten, sich beleidigt fuehlen und ein neues Wort als Gruppenbezeichnung waehlen bzw. fordern. Tut er aber nicht und meiner Meinung nach waere das auch der falsche Ansatz.
    Auch die Schwulen beharren nicht auf einer alternativen Bezeichnung wie “Homosexuelle”, sondern haben den abwertend gemeinten Begriff “schwul” uebernommen und in die gesellschaftliche Neutralitaet zurueckgefuehrt. Beide Beispiele spiegeln fuer mich den sinnvolleren Ansatz, mit abwertend gemeinten Begriffen umzugehen.

    Unabhaengig von meiner (oben beschriebenen) persoenlichen Einschaetzung moechte ich natuerlich niemanden wissentlich beleidigen wenn es sich vermeiden laesst. Im Gegensatz zu einigen Kommentatoren hier beanspruche ich naemlich nicht die alleinige Deutungshoheit darueber, wie Worte gemeint sind, auch wenn ich als Sprecher meiner Worte am besten weiss wie ich was meine.
    Wenn also fuer als beleidigend empfundene Worte funktionierende Alternativen angeboten werden, die von den Betroffenen als nicht beleidigend empfunden werden, nutze ich die gern. Eine solche Alternative muss natuerlich sprachlich funktionieren.

    Aber welche ist das? Schwarze? Lehnen viele ab, genauso wie “Farbige”. Afrikaner? Viele dunkelhaeutige kommen nicht aus Afrika. Dasselbe gilt fuer “Afroamerikaner” usw.
    Was tun wenn ich fuer den Sinnzusammenhang meiner Aussage eine Gruppenbeschreibung fuer Dunkelhaeutige brauche? (egal ob aus Afrika, USA oder Kaiserslautern)

    Weitere Beispiele:
    Die einen fuehlen sich als “Eskimos” diskriminiert, andere nennen sich stolz “Eskimo” und empfinden “Inuit” als herabsetzend.
    Bei “Zigeuner” vs “Sinti und Roma” ist die Situation vergleichbar.

    Also bitte ich ernsthaft um Auskunft: Was soll ich tun?

  7. formatted_brain

    Kleines Schmankerl: Der Sarotti-Mohr (inzwischen korrigiert zum “Sarotti-Magier-der-Sinne” mit goldener Hautfarbe), verdankt seine Entstehung nicht kolonialistischer Ideologie, sondern dem Firmenhauptsitz in der Berliner Mohrenstrasse. Die heisst uebrigens immer noch so – vielleicht waere “Magier-der-Sinne-Strasse” besser.

  8. Woher die Mohrenstraße ihren Namen hat, entspringst allerdings kolonialistisvh-rassistischen Motiven: http://de.m.wikipedia.org/wiki/Mohrenstra%C3%9Fe

    Außerdem ist es egal, wie neutral wir Weiße als Nichtbetroffene den N****-Begriff empfinden. Die Deutungshoheit obliegt da den Betroffenen, also den People of Color (PoC).
    Und wenn eine Bezeichnung die betroffenen Menschen(gruppen) offensichtlich verletzt, warum sollte man dann daran festhalten (wollen)?

  9. Wie hießt dieses Blog so schön: Es bleibt schwierig. Das zeigt der lange Kommentar von formatted_brain sehr deutlich. Für mich ist klar, dass das N-Wort gar nicht mehr verwendet werden darf. Aber die Frage nach den Alternativen ist schwer zu beantworten. Vor allem, wenn wir als Korrektiv heranziehen, dass die bezeichneten Menschen – von Betroffenen will ich nicht sprechen – die Deutungshoheit darüber haben sollen, welcher Begriff beleidigend verstanden wird und welcher nicht. Wie soll das praktisch funktionieren? Bei manchen Wörtern ist es sonnenklar, bei anderen vermag das kein Sprecher oder Schreiber vorherzusagen. Vor allem im Gespräch gestaltet sich solcher Art Rücksichtnahme doch schwierig, so sehr wir sie auch wollen. Was nicht heißt, dass wir unsere Worte weiter abwägen.
    Abgesehen davon geht die Welt nicht unter, wenn ein rassistisches Wort wie das N-Wort endgültig aus dem Sprachschatz verschwindet.

  10. Ich Handhabe es, wie bei (hoffentlich) allen zwischenmenschlichen Dingen so, dass ich frage, wie ein dunkelhäutiger Mensch genannt werden will.
    Doch auch was dabei herauskommt ist nicht in Stein gemeißelt!
    Ich sitze im Rollstuhl. Ich selbst redete von “Behi”, wenn ich mich meinte, hätte das aber nicht zu einem anderen Behinderten gesagt. Ich wollte es den anderen eben leichter machen. Aber ich stellte auch fest, dass ich es als herabwürdigend empfinde, wenn es zu mir wer sagt. Ich frage also immer leise nach, und versuche danach auf mein Gespür beim Verwenden des geäußerten Wortes zu hören. Wenn ich bei mir, oder dem Gegenüber Irritationen spüre, dann spreche ich das nochmal diskret an. Menschen sind eben sehr individuell!
    Wichtig ist nur, dass man innerlich Respekt vor dem anderen empfindet. Wenn man N…. sagt, lässt man diesen denke ich sehr vermissen, da es diese Menschen derbe an ihre versklavte Vergangenheit erinnert.

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