Einige der Vorteile elektronischen Lesens auf einem eReader habe ich vor einiger Zeit aufgeschrieben. Schon während des Studiums in den späten 1980ern und sehr frühen 1990ern saß ich oft in Veranstaltungen und ärgerte mich, nicht mal eben schnell Textstellen nachschlagen konnte – auch in Büchern, die nicht selbst Thema der Sitzung waren. Mit einem elektronischen Lesegerät in Taschenformat ist das heute überhaupt kein Problem mehr.
Eine weitere Funktion, die ich damals gerne wollte, ist der Austausch von Textstellen und Notizen dazu, selbstverständlich wieder elektronisch. Leise und unverzüglich. Dafür braucht es nicht nur einen eReader, sondern außerdem eine drahtlose Netzwerkinfrastruktur zu ganz kleinem Preis. WLAN bietet sich an, nicht zuletzt, weil dies selbst in Deutschland sehr günstig und überall zu haben sein könnte. Ein großes Unternehmen wie Amazon weiß schon, weshalb WLAN zur Grundausstattung der Kindle-Reihe gehört.
Leider ist das alles aber noch nicht ausgereift, ja, es befindet sich bestenfalls im frühen Alphastadium. Das Problem ist dabei nicht die Software, auch nicht die Hardware, sondern der Service rund um den Kindle.
Amazon denkt von der Seite des Verkäufers. Vorteil für den Kunden: Von Anfang an preisgünstige Hardware. Das funktioniert wie bei modernen Mehrklingenrasierern, deren Preis bewusst sehr niedrig ist, evtl. sogar unter Herstellungs- und Vertriebskosten. Die Klingenaufsätze gehen dann aber richtig ins Geld. Wer erst einmal dabei ist, der kauft auch nach.
Das Prinzip beim Kindle ist dasselbe, halte die Initialkosten niedrig, damit die Menschen nachher im System Software [hier: Bücher, Audio und Filme] kaufen. Immerhin sind diese bei Amazon auch recht günstig. Kein Interesse hat der Versandhändler daran, dass andere Anbieter ihre Inhalte auf den Kindle bekommen. Ganz verhindert kann das aber nicht werden, da eine solche Einschränkung beim Kunden unweigerlich zur Entscheidung gegen einen Kindle führt. Aber man kann Hürden aufbauen, z.B. fehlende Unterstützung für das ePub-Format.
Es gibt Software, z.B. Calibre, die Formate wandeln kann, so dass der Leser mit ein klein wenig Zeitaufwand seine eBooks auf unterschiedlichen eReadern lesen kann. Sofern er dabei nicht gegen gültige Lizenzvorschriften verstösst oder DRM knackt. Doch damit beginnt das Leid erst.
Rauf auf die Wolke
Die meisten meiner eBooks sind Klassikersammlungen, die ich direkt bei Delphi Classics kaufe. Es gibt sie auch über Amazon, aber Updates gab es früher nur direkt vom Hersteller. Dafür musste man dort gekauft haben; das scheint inzwischen anders zu sein, ist aber durchaus nicht sicher. Ausserdem erhielt ich bei Delphi Classics von Anbeginn immer sehr guten Service. Da darf man auch ein wenig treu sein.
Ich erkaufe mir das auch mit Nachteilen, so muss ich die eBooks erst auf meinen Computer runter laden, dann per USB-Verbindung auf den Kindle. Alternativ kann ich mit Amazons Send-to-Kindle-App oder per Dokumente/Dateien, die kleiner als 50 MB sind, in die Amazon Cloud und auf den Kindle schicken. Eine sehr schöne Idee, die allerdings nicht so funktioniert, wie es aus Sicht des Nutzers sollte.
Da wäre zuerst die genannte Grössengrenze, die bei kompletten Werken so manch fleissigen Schriftstellers, locker geknackt wird. Charles Dickens bringt es als MOBI auf stattliche 72 MB, L.Frank Baum hat 76, Mark Twain [als PRC] gar 127! Die sind also alle nur per USB auf den Kindle zu schaffen, was selbstverständlich kein Problem darstellt …
… ausser, dass diese Ausgaben allesamt nur auf dem Kindle zur Verfügung stehen, nicht in einer der Lese-Apps, ob für PC, Smartphone oder im Web.
Die Verfügbarkeit über Amazons Cloud-Dienst ist aber nur einer von mehreren Vorteilen, die ich vermutete, als ich mich letzte Woche entschied, alle Nicht-Amazon-eBooks per Send-to neu auf den Kindle zu laden. Ich wollte vor allem die Teilen-Funktion des Geräts nutzen, also beim Lesen interessante Textstellen oder meine Notizen schnell über Twitter, Facebook und andere Netzwerke teilen.
Exkurs: Formate
Amazon benutzt die proprietären eBook-Formate AZW und KF8, die auf dem älteren MOBI basieren, das auch als PRC unterwegs ist. Die Unterschiede sind eher klein, KF8 unterstützt einige HTML5- und CSS3-Möglichkeiten; AZW und MOBI/PRC haben eine minimal andere Syntax in der Kennzeichnung. Verschiedene AZW-Versionen, PRC und MOBI werden direkt von allen Kindle unterstützt, KF8 wurde für die Multimedia-Features der Fire-Serie entwickelt, kann aber wohl auch von anderen Kindle gelesen werden.
Weitere Formate, wie PDF, verschiedene Bild- und Textdateien, werden vom Kindle angezeigt; ausserdem gibt es den Umwandlungsservice – per E-Mail oder Send-to-App an Amazon gesandte Dateien werden ins Kindle-Format gebracht.
You can send the following file types to your registered Kindles, supported Kindle reading applications, and your Kindle Library in the Amazon Cloud:
Microsoft Word (.DOC)
Microsoft Word (.DOCX)
TXT (.TXT)
RTF (.RTF)
JPEG (.JPEG, .JPG)
GIF (.GIF)
PNG (.PNG)
BMP (.BMP)
PDF (.PDF)
MOBI (.MOBI)
Auffällig ist, dass zwar MOBI gesandt werden kann, PRC und AZW aber nicht, ebensowenig EPUB. Für den Anwender heisst das, erst einmal eBooks aus diesen Formaten in MOBI zu wandeln, damit sie überhaupt an die Kindle-Cloud geschickt werden können. Gerade für PRC ein sinnlos Zeit verschwendender Schritt.
Mehrwert
Der Versand samt Weiterleitung der eBooks an den Kindle geht schnell. Aber. Jetzt sind meine Dateien zwar griffbereit in der Amazon Cloud, doch ein wichtiges Feature scheint nicht zu funktionieren; ich kann die diversen Lese-Apps nicht dazu bringen, zur letzten gelesenen Seite zu synchronisieren. Mal ein paar Seiten am Computer lesen, dann zum Kindle wechseln, später am Android, abends im Bett wieder zum Kindle – nicht ganz einfach, da zuerst mühsam die Stelle gefunden werden muss, an der man aufhörte.
Immerhin funktioniert das Teilen von Zitaten und Notizen jetzt, das könnte allerdings auch an der überarbeiteten Software der aktuellen Kindle liegen. Mit dem Kindle Keyboard klappte das nie so recht. Für mich ist das Teilen von Sätzen, die einem gefallen oder die gerade zu einer öffentlichen Situation passen, das Teilen von Gedanken, die man beim Lesen hat, interessanter als eindimensionale Bewertung mit einem Sternesytem.
Ein Mehrwert des neuen Lesens der sich direkt daraus ergibt, ist der virtuelle Buchclub. Sie kennen das vielleicht aus US-amerikanischen Sitcoms oder Vorstadtromanen, da treffen sich regelmässig die unterbeschäftigten Hausfrauen der Nachbarschaft und unterhalten sich über ein Buch, dass alle gelesen haben. Eine der erfolgreicheren Buchplattformen im Internet ist Goodreads, das Bewertungen und längere Rezensionen von Lesern sammelt, daraus Empfehlungen schneidert.
Zum Social Medium wird es, weil die Empfehlungen auch aus der Lektüre und den Rezensionen von Verbundenen zusammengestellt werden. Es ist ein grosser, internationaler, jederzeit erreichbarer Buchclub. Amazon hatte vor Jahren etwas Ähnliches mit Kindle.Amazon.com begonnen, aber nie wirklich entwickelt. Dieser Tage kauft Amazon Goodreads und ich hoffe, dass die Social-Seite erhalten und ausgebaut wird, während die Verknüpfung zu Kindle und Amazon enger wird.
Bisher kann man sich bei Goodreads direkt per Facebook-, Google-, Twitter-Konto anmelden, Amazon fehlt bisher. Später lässt sich Goodreads auch mitteilen, welche eReader man benutzt. Leider kann ich bisher noch nicht automatisch meine Bücher dorthin synchronisieren; ebensowenig gedruckte, die ich bei Amazon gekauft oder bewertet habe. Amazons eigene Plattform macht das immerhin, die Chancen stehen gut, dass Goodreads das auch irgendwann kann …
Management
Mit einer solchen Plattform lässt sich auch eine zentrale Anlaufstelle für das Management des Kindle und seiner Bücher herstellen. Im Augenblick verwalte ich Bücher
- auf dem Kindle direkt
- per Software vom PC aus [Calibre und Collectorz Book Collector]
- per Amazon-Konto [Manage your Kindle]
- per Send-to-Kindle-App
- per Kindle.Amazon.com
Das ist alles umständlich, teilweise schlecht oder gar nicht verknüpft und für den Anwender eine eher unschöne Erfahrung. Hier unterscheidet sich der Kindle kaum von anderen eReadern.
Ein Beispiel sind Collections, die in einen seitenlangen Wust durcheinander geworfener Titel ein wenig Übersichtlichkeit bringt. Bei älteren Kindles konnte man Calibre nutzen, um solche Sammlungen anzulegen und an den eReader zu schicken. Das war mit einem kleinen Trick und Aufwand verbunden, aber es ging. Bei der Touch-Reihe geht es nicht mehr. Amazon bietet aber auch keine eigene Software an, die das erlaubt; ebenso wenig geht es über deren Websites. Es müssen also alle Sammlungen einzeln auf dem Gerät angelegt werden, dann die Bücher einzeln darauf verteilt. Das erinnert beinahe schon an alte DOS-Zeiten.
Überhaupt hat Amazon so seine Schwierigkeiten mit der Massenverarbeitung von eBooks. Nachdem mein Kindle Keaboard den Geist aufgegeben hatte, nahm ich mir vor, meine eBooks soweit möglich über Amazon an meinen neuen Kindle zu senden. Die entsprechende App installiert, die Bücher umgewandelt, im Windows Explorer ausgewählt, an die App geschickt, die auch fröhlich den langen Riemen an Titeln abarbeitete.
Als die Bücher auf dem Kindle angekommen waren, stellte ich fest, dass ich jetzt bei allen als Autor eingetragen war. Ausser bei der ersten Datei, die ich als Test alleine geschickt hatte. Bei dieser hatte die App die Autorin korrekt aus den Metadaten erkannt und eingesetzt. Verarbeitet man ganze Chargen kann die App das nicht und setzt den registrierten Benutzer als Autor ein. Es müssen somit alle Bücher einzeln versandt werden. Nicht schön.
Das Erlebnis
Bisher stellen sich eReader als Papierersatz dar. Anstatt nur ein Buch dabei zu haben, können wir Hunderte mit uns rumschleppen – und das nimmt weniger Platz weg und wiegt nicht so viel wie ein Taschenbuch. Praktisch. Aber noch nicht mehr. Einen Preisvorteil gegenüber gedruckten Büchern haben wir bisher für deutsche Bücher noch nicht
Lesen mit eReadern oder entsprechenden Apps im Web und auf Geräten wie Smartphones und Tablets kann mehr sein, als auf irgendeiner Parkbank sitzend alleine vor sich hin Buchstaben zu erkennen. Lesen kann ein soziales Erlebnis sein, wie es Theater, Oper, Kino schon immer waren. Der völlig überraschende und so noch nie dagewesene Erfolg der Harry-Potter-Romane von J.K. Rowling hat eine ganze Menge damit zu tun, dass Menschen etwas gemeinsam hatten.
Der böse Zyniker sagt: Klar, Hauptsache der Meute folgen und alles mitmachen, nur um dazu zu gehören. Das erklärt sicher so manch unlesbaren Bestseller, den das Feuilleton in glühenden Worten bespricht. Rowlings Bücher wurden aber nicht nur gekauft und ins Regal gestellt, sie wurden und werden gelesen. Die Menschen reden drüber, sie schreiben dazu – von Notizen und Rezensionen bis zu Fan Fiction.
Dieses Potenzial müssen eReader aufschliessen. Dazu müssen sie noch einfacher zu bedienen sein, zu einem Alltagsgegenstand werden, über den man sich kaum Gedanken macht. Technisch sollten sie in absehbarer Zeit auf Kabelverbindungen verzichten können. Voraussetzung dafür sind induktives Laden und eine gut ausgebaute, bezahlbare Netzinfrastruktur, z.B. mit öffentlichen WLANs.
Ich will Bücher auf sie laden, die mir dann nicht nur auf einem Gerät, sondern per Cloud-Dienst auf allen Geräten zur Verfügung stehen.
Ich will sie ganz einfach managen können.
Ich will mich jederzeit einfach mit anderen über das Gelesene austauschen können.
Ich will Sicherungskopien gekaufter Werke machen können, um diese auch dann lesen zu können, wenn ich mein Konto beim Geschäft schliesse oder auf andere Hardware umsteige.
Ich will mich nicht anstrengen müssen, um die Vorgaben der Verkäufer und Ingenieure zu erfüllen; ich will meine Energie ins Lesen stecken [individuell und sozial, passiv und aktiv].
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