Eine kleine Einführung in Parteirhetorik

Nichtsahnend blätterte ich gestern durch meine Twitter-Timeline, als plötzlich der Kreis-/Ortsverband Bottrop der FDP in sie gespült wurde.

Das klingt klasse, das können wir doch alle unterschreiben. Also lobte ich die FDP Bottrop.

BGE, für die, die das noch nie gehört haben, heisst ‘bedingungsloses Grundeinkommen’. Grob umrissen geht es darum, jedem Menschen eine Summe [knapp über dem Existenzminimum] zu geben, dafür alle anderen staatlichen Geldleistungen zu kappen. In den Details ist das schon ein wenig komplexer, aber Sie wissen jetzt,. um was es geht.

Das BGE würde Menschen ermöglichen aus pekuniären Abhängigkeiten heraus zu kommen und selbst zu bestimmen, was sie wann der Gesellschaft als Arbeitsleistung beibringen. Die Idee ist nicht so neu, sie lässt sich durchaus in den Schriften Adam Smiths finden.

Darauf hätte die FDP Bottrop vielerlei antworten können, um einen ohnehin bereits lobenden Wähler von sich zu überzeugen. Zum Beispiel hätten sie schreiben können: ‘Wir sagen dazu Bürgergeld. Hier, schauen Sie mal in unser Programm.’ Natürlich mit Link zum Programm. Haben Sie aber nicht.

OK, der erste Teil steht ein wenig einsam, wird inhaltlich nicht gefüllt. Was soll ein ‘Bürgergeld’ sein? Handelt es sich um eben jenes erwähnte Grundeinkommen? Zahlt jeder Bürger es als Eintritt in die Gesellschaft, dafür aber keine weiteren Steuern mehr? So ganz klar ist das nicht, das Wort verschleiert mehr als es aufklärt.

Der zweite Teil ist wenig konkret. Arbeit gibt es immer genug. Sind womöglich Arbeitsplätze gemeint? Oder Arbeitskräfte? Alles sehr vage. Ich halte der FDP Bottrop zugute, dass wir auf Twitter sind – da muss man notgedrungen verkürzen. Unter ökonomischen Gesichtspunkten scheint mir ein anderer Punkt wichtiger:

FDP Bottrop seltsam altbacken dazu:

Das klingt sehr nach diesen ’70er-Jahre-Rezepten’, die von der FDP in Bezug auf Gewerkschaften gern abgelehnt werden.

Ich weiss, das ist leicht angespitzt, indem ich das Konzept ‘Hauptsache Arbeit’ einfach mal konsequent weiter dachte. Noch einmal: Arbeit gibt es immer. Arbeit für lau würde auch gerne genommen. Anständig bezahlte Arbeit ist das Problem.

Fragen Sie mich nicht, woraus die FDP Bottrop obigen Schluss zieht.

 

Es ist schön zu sehen, dass dort immerhin das Fundament des Wirtschaftens an sich bekannt ist. Das Angebot-Nachfrage-Prinzip ist so grundlegend, dass ich es selbstverständlich voraussetze; darüber muss nicht diskutiert werden. Selbst in der Planwirtschaft existiert es, dort glaubt man allerdings, sie seien vglw. feste Grössen, die langfristige Planung ermöglichen.

Das ist jetzt nicht nur ein klassisches Non-sequitur, es ist auch bereits recht aggressiv für eine Partei, die mich – der ich mit Lob begann! – doch wohl gerne als Wähler hätte.

In einer idealen Welt mit Vollbeschäftigung, praktischer, uneingeschränkter  Freizügigkeit selbstverständlich, jene Arbeitsstelle, die den meisten Gewinn verspricht. Sofern sie, wie Adam Smith bereits beobachtete, keinerlei pekuniären Zwängen unterliegen. Die Modellwelt, in der man samt Familie mal eben von Flensburg nach München, im nächsten Jahr nach Köln, zwei Jahre drauf nach Parchim zieht, existiert nur für die EXCEL-Sheets der Ökonomen. Die meisten wissen das auch.

Die Wirklichkeit ist komplexer. In der Wirklichkeit kostet ein Umzug Geld, nicht wenig. In der Wirklichkeit hat jedes Bundesland ein eigenes Schulsystem, was es für die Kinder nicht einfach macht. In Wirklichkeit kann ein Mensch ohne BGE eben nicht frei entscheiden, wem er wo für wie viel seine Arbeitsleistung zur Verfügung stellt.

Normalerweise schicke ich Menschen, die so komplett an Texten vorbei lesen, wie es hier geschieht, zu meinem Schnellkurs in Lesekompetenz. Ich war zwar bereits leicht genervt von den Antworten, die aussehen, als würde einem Call-Centre-Script gefolgt, doch immer noch interessiert, wie ernst man dort die Selbstbeschreibung der FDP als ‘wirtschaftskompetent’ nimmt.

Ooh, eine Gotcha-Frage. Immer noch weit weg vom Thema – zur Erinnerung, wir starteten beim BGE. Dafür stellt sie eine Frage, der es nicht darum geht, eine Lösung zu erarbeiten. Sie kennen das vielleicht. In Seminaren lernen wir, möglichst keine geschlossenen Fragen zu stellen, damit das Gegenüber seine Gedanken ausbreiten kann, statt nur Ja oder Nein zu sagen und zu verstummen.

Es gibt aber zwei Formen rhetorischer Fragen, denen es eben nicht um eine Antwort geht. Da ist die ‘ich setze ein Fragezeichen ans Ende, aber eigentlich ist das meine Antwort’-Frage, die sehr oft benutzt wird. Dann gibt es die obige Form, eine Frage, die das Gesprächsgegenüber besiegen soll. Egal welche Antwort man wählt, man verliert. Entweder stimmt man dem Gesprächspartner zu oder man macht sich lächerlich. Versucht jemand nuanciert zu antworten, unterbrechen die Fragestellenden und beharren auf einem klaren Ja oder Nein.

Immerhin greift die FDP Bottrop doch mal etwas von mir auf:

Leider ist die Antwort zwar syntaktisch sinnvoll, leidet aber auf der semantischen Seite, selbst wenn man nicht einmal die erste Seite eines Standardlehrwerkes ‘Einführung in die Ökonomie’ gelesen hat. An dieser Stelle bekam ich Zweifel, ob es sich womöglich um einen Satire-Account handelt – eine FDP-Gliederung spricht sich gegen Produktivität aus?

Nebenbei bemerkt, ist die Reihenfolge falsch rum. Selbstverständlich ist höhere Produktivität das Ergebnis von weniger menschlicher Arbeit bzw. günstigeren Arbeitskosten.

Ja, auch das ist alles verkürzt und doch schon viel zu lang für Twitter. Immerhin habe ich wichtige Stichworte untergebracht, mit deren Hilfe man sich schnell informieren könnte. Beachten Sie bitte auch, dass ich von der Verteilung des ProuktionsZUWACHSES schreibe.

Nein. Die Frage stand bisher nicht im Raum. Nicht einmal in jenen Non-sequiturs, in denen die FDP Bottrop darauf bestand, über Arbeitsplätze zu reden.

Hatte ich erwähnt, dass es einen Schnellkurs in Lesekompetenz gibt? Ich schrieb deutlich von Zuwachs. Auch sonst gibt es keine Aussage von mir, die ein Wachstum ausschlösse – nicht implizit, auf keinen Fall explizit. Das ist dieselbe Taktik, die vorher angewandt wurde, als man mir unterstellte, ich lehnte das Angebot-Nachfrage-Prinzip ab.

Weil dies eine Unterstellung ist und weil es die zweite schwere Unterstellung ist, war ich inzwischen sauer.

Auch die Organisation, die sich hartnäckig weigerte, auf irgendetwas von mir einzugehen, stattdessen mit Parteiplatitüden daherkam, war angepisst und machte das deutlich:

Ich vermute, bei der FDP kann man auf Wähler verzichten. Auf jeden Fall wird dort jemand nach der Lektüre dieses Beitrags sagen, ‘auf Wähler wie DEN können wir verzichten’. Das ist deren gutes Recht, wenn auch nicht besonders klug. Einen potenziellen Wähler vorführen zu wollen, dabei noch Genervtheit raushängen lassen, ist auf jeden Fall unklug. Nächstes Mal zeigt euch nicht verärgert, sondern argumentiert am Thema und beweist, dass ihr von Wirtschaft was versteht.

Man kann über BGE diskutieren, es gibt Gründe dafür, es gibt Gründe dagegen. Auch wenn man grundsätzlich für ein BGE ist, bleiben viele Fragen. Die FDP Bottrop hätte darüber mit mir reden können. Sie hätte auch sagen können, dass sie mit mir lieber über ihre konkreten Vorstellungen zu Rahmenbedingungen für Arbeit und soziale Unabhängigkeit diskutieren möchten. Stattdessen gab es Platitüden, Unterstellungen und offen ausgedrückte Verärgerung.

Notes:
1. Ich hoffe, ich habe keinen Tweet vergessen, es handelt sich um alle dieser Konversation, die ich gesehen habe.
2. Im Grunde sollten sie mich auch als Mitglied haben wollen, selbst wenn es nicht in ihrem Kreis- oder Ortsverband wäre. Tipp: Ich bin in keiner Partei, war nie in einer – und möchte meine Unabhängigkeit schon aus ästhetischen Gründen behalten.
Ich hoffe, ich habe keinen Tweet vergessen, es handelt sich um alle dieser Konversation, die ich gesehen habe.
Im Grunde sollten sie mich auch als Mitglied haben wollen, selbst wenn es nicht in ihrem Kreis- oder Ortsverband wäre. Tipp: Ich bin in keiner Partei, war nie in einer – und möchte meine Unabhängigkeit schon aus ästhetischen Gründen behalten.

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