Ich frage mich immer wieder, weshalb der Austritt aus einer Partei keine Option sein soll.
Im privaten wie öffentlichen Umfeld kommt es immer wieder zu Diskussionen um Parteizugehörigkeit bzw. Nichtparteizugehörigkeit. Jene, die in Parteien sind, machen oft den Eindruck, als wären sie und nur sie in der richtigen Partei. Für sie selbst mag das sogar stimmen – wenn sie sich denn mit den ideellen Zielen und den praktischen Handlungen ihrer Partei, meist vertreten durch ein hierarchisches System von Delegierten bis hin zum Bundesvorstand, identifizieren können. Zumindest weitgehend.
Wenn ich Kaninchen züchte und deswegen in einen Verein eintrete, erwarte ich, dass alle gerne Kaninchen züchten oder zumindest das Ziel des Kaninchenzüchtens unterstützen. Da reicht es nicht, dass dies in der Satzung steht oder gar in einer vor 150 Jahren entstandenen Gründungs-Charta, es muss auch danach gehandelt werden. Sollten Schlüsselmitglieder anfangen, nur noch Meerschweinchen zu züchten. Sollten sie sich sogar explizit gegen Kaninchenzucht stellen, öffentlich gegen Kaninchenzüchter wettern, soll ich dann im Verein bleiben, obwohl ich weiter Kaninchen züchten will?
Passiert genau dies bei Parteien, taucht sofort das Argument auf
Wenn all die guten raus gehen, wie soll sich dann was ändern? Gerade jetzt muss man dabei bleiben!
Ich muss hier nicht die gesamte Geschichte der SPD durchkauen. Schaue ich auf die letzten 25-30 Jahre, hat die Partei nichts mehr mit dem zu tun, was in den 1970ern – geschweige denn davor – viele Menschen dazu brachte, sie zu wählen oder in sie einzutreten. Ihr ‚Fortschritt‘ hat die kleinen Leute getreten, und zwar aus der Gesellschaft raus. Ihr ‚Fortschritt‘ richtet einen Überwachungsstaat ein, weil der Koalitionspartner gerne einen hätte. Es geht ihr hier um Macht, nicht um Sozialdemokratie.
Da bleiben gutmeinende Menschen in einer Partei, die bestenfalls noch vage für das steht, was diese Menschen möchten. In einem System, dass die Basis zwar gern im Mund führt, aber nach Befragungen gerne ignoriert. So geschehen letztes Wochenende als diverse Kreis- und Landesverbände der SPD sich so klar gegen die Vorratsdatenspeicherung stellten, wie es auch der derzeitige Bundesjustizminister vor wenigen Monaten noch tat:
https://twitter.com/HeikoMaas/status/544403301664837632
Schlimm genug, dass ein Berufspolitiker wie Sigmar Gabriel Rücktritt als Drohung verstehen kann. Noch schlimmer, dass einige Mitglieder auf diese Nicht-Drohung hereinfallen. Oder sollten die Delegierten des Konvents am Wochenende aus rein koalitionstaktischen Erwägungen zugestimmt haben?
'Wie schaffe ich eine niedrige Wahlbeteiligung?'
'Herr Gabriel, dafür müssen sie nur Politik auf BVerfG, EUGh und EGMR abschieben.'
— Dierk Haasis (@Evo2Me) June 20, 2015
Das 180°-Wendemanöver von Heiko Maas mag tatsächlich so zu erklären sein: Lasst uns der CxU die stimmen geben, das Bundesverfassungsgericht kassiert die Sache eh wieder. Leute, das ist nicht Politik! Das ist nicht mal mehr Parteipolitik, das ist Mord an der repräsentativen Demokratie mit anschliessendem Selbstmord.
Ich kann verstehen, dass Parteimitglieder gerade der SPD auf Kritik sehr sensibel reagieren, aber Verständnis habe ich inzwischen nicht mehr. Die Delegierten wurden ebenso durch demokratische, parteiinterne Prozesse bestimmt, wie der Bundesvorstand und in letzter Konsequenz die Minister in der Grossen Koalition. Sigmar Gabriel und Co wurden nicht von Gott bestimmt, nicht vom Geiste Bebels, sondern von den Mitgliedern der Partei. Jede Kritik an offizieller Parteiarbeit trifft zurecht auch die Mitglieder.
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Sicherlich gibt es in der SPD Menschen, die sich bemühen, die tun, die machen, gerade auch laut öffentlich wie Nico Lumma z.B. Es gibt auch die stilleren, die den Weg durch die Tretmühle gehen, vor Ort überzeugen wollen. Sie hoffen, dass sich irgendwann was bewegt. Wie beim Atomausstieg, für den die SPD mindestens 16 Jahre benötigte, eine Naturkatastrophe mit Erdbeben und Riesenflutwelle, sowie eine CDU, die von einem Tag auf den anderen Atomkraft auch nicht mehr so dolle findet.Während meines politisch bewussten Lebens hat die SPD-Basis sich fast immer dem Vorstand gebeugt. Unter machtpolitischen Überlegungen mag das rational erscheinen, immerhin standen Basis und Helmut Schmidt 1981/82 gegeneinander, man verlor die Kanzlerschaft. Auch mit dem Ergebnis, dass die unbeliebte Schmidt’sche Aussenpolitik sehr viel glatter von Helmut Kohl umgesetzt wurde. Das ist schon traumatisch.
Aber weil von der CxU nichts Anderes zu erwarten ist, heisst das nicht, dass die SPD es quasi im vorauseilenden Gehorsam zu machen hat. Politische Positionen sind nicht einfach, sie sind auch nicht einfach zu halten. Sie haben Konsequenzen. Das scheint einigen solange nichts auszumachen, wie andere diese Konsequenzen zu tragen haben.
Ein zweites Mal war ein grosser Teil der Basis auch nicht einverstanden. Der linke Flügel zog die Konsequenzen und trat weitgehend aus der SPD aus. Das verstärkte selbstverständlich den ohnehin bestehenden Trend einer leicht links von der Mitte stehenden ver-CDU-ung. Die Alternativen waren
- in der Partei auf moralisch hohem Ross sitzen, aber nichts erreichen, oder
- eine Partei machen, mit der man zufrieden sein kann und mit der was zu schaffen ist.
Es geht also, man ist nicht bis ans Lebensende an die Partei gebunden. Die SPD ist schliesslich nicht Scientology. Gut, aus persönlicher Kränkung heraus will die erwachsene SPD bis heute nichts mit dem Schmuddelkind LINKE zu tun haben, ja, nicht einmal sprechen. Kindergarteniveau – nur dass die 3-jährigen sich nach 5 Minuten wieder vertragen und gemeinsam spielen.
Machen wir uns nichts vor, die SPD zählt immer noch zu den zwei grossen Parteien, auch wenn sie kaum mehr als die Hälfte an Stimmen der anderen grossen Partei erreicht. Wenn die Basis sich nicht gegen Vorstand und Regierungsfunktionäre [inkl. Fraktion] durchsetzen kann, muss sie sich eine neue Führungsreihe ranschaffen – oder eine neue Partei.
Es ist ein schlechtes Zeichen, dass Gabriel glaubt, ein Rücktrittsultimatum seinerseits könne überhaupt eine Drohung sein. Wenn wir Glück haben, überschätzt er sich und seine Cronies masslos. Ich fürchte, er schätzt die Basis ganz richtig ein, die sich nach dem Beschluss leise protestierenden hinter ihn stellen wird. Lieber geschlossene Reihen.
Das ganze erinnert mich sehr stark an eine abusive relationship
'Mein Vorsitzender hat mich wieder verprügelt.'
'Wir helfen gerne. Als erstes müssen sie sich von ihm trennen.'
'Aber ich kann ihn ändern'
— Dierk Haasis (@Evo2Me) June 20, 2015
Gewonnen hat die SPD durch ihr überflüssiges Votum für die Vorratsdatenspeicherung sicher nicht. Die Law-and-Order-Hardliner fühlen sich bei der CxU schon gut aufgehoben. Neue Wähler waren von vornherein nicht zu gewinnen. Alte Wähler zurückbekommen mit einer sinnlosen, massiv die Grund- und Menschenrechte einschränkende Massnahme? Eher nicht. Auch die inhaltliche Verteidigung zeugt nur von Unverständnis für Technologien und Gesellschaftsentwürfe, die zukünftig zu erwarten sind.