Am Pfingstwochenende schlug ich bei Con Text vor, im Mai die Hamburger Kunsthalle zu besuchen. Zum einen ist es gratis [bis 31. Mai 2016], zum anderen lässt sich über den historisch angelegten Rundgang einiges über die Evolution der bildenden Kunst, ihre Techniken und Referenzen lernen. Gerade für Laien ergeben sich interessante Einblicke und Überlegungen.
Ein paar Gedanken, die mir beim Betrachten einiger Werke gekommen sind, zur Anregung.
Da ist zum Beispiel Christus in Gethsemane von Hans Schäufelein, das offenbar über die Jahrhunderte in vorhandene Rahmen eingeschnitten wurde.
Insgesamt zeigt das Bild in seiner heutigen Form einen sehr eng gefassten Bildausschnitt, was mir unüblich vorkommt. Besonders deutlich ist der Beschnitt am oberen Rand, wo nicht nur Jesus Christus’ Heiligenschein zu Zweidritteln fehlt, sondern auch sein Kopf angeschnitten wurde. Ausserdem fehlen links hinter ihm zwei Personen die Köpfe komplett, rechts sieht man die Beine einer Figur, die über den Zaun klettert, der Rest fehlt. Auch am linken Rand wurde tief in den Heiligenschein geschnitten. [siehe rote Markierungen]
Kleinigkeit am Rande, die einem beim ersten Blick auf das Original leicht entgeht: Eine weitere Figur kriecht unter dem Zaun näher zum Herrn heran [gelber Pfeil]
Ein wenig unterverkauft wird m.E Abraham Bloemaerts Landschaft mit Bauerngehöft von 1629.
Zugegeben, Ruinen und Verfall bieten sich als Bildmotive immer an, verweisen sie symbolisch doch auf die Vergänglichkeit des menschlichen Seins. Andererseits tobten zu Lebzeiten Bloemaerts mehrere grössere Kriege in Europa, wie die Hugenottenkriege oder der 30-jährige Krieg. Die Ruine ist vielleicht mehr als nur eine künstlerische Modeerscheinung.
Hier ein paar Details aus dem Gemälde:
Amüsant wiederum wie sich Tobias Verhaecht – und viele andere damals – die Landschaft auf der Flucht nach Ägypten vorstellt. Es dürfte sich kaum um reale Berge handeln, nicht einmal um idealisierte, sondern wirklich komplett imaginäre. Es wird eine ideale Landschaft erschaffen. Bemerkenswert auch Grösse und Gewandung der Flüchtenden Joseph, Maria, Jesus.
Und nun zu etwas völlig anderem … Bernini. Dem grossen Meister der Marmorskulptur. Ich staune immer wieder, wie organisch, fliessend und lebendig seine Büsten und Statuen daherkommen. Es ist, als seien seine Modelle zu Marmor geflossen, wären nicht nur Vorlage gewesen, die er aus Stein haut.
Bernini findet genau die richtige Balance bei der Ausarbeitung von Details, um die Betrachter zu überzeugen, hier mehr als nur ein Stück Gestein vor sich zu haben.
Ich hatte bereits im Kunstrundgang auf einige Schwächen hingewiesen, wie fehlende Erläuterungen, die merkwürdige Platzierung der Bernini-Büste. Sehr verwundert bin ich, ob des Anspruches der Hamburger Kunsthalle, nach einer umfassenden Modernisierung wiedereröffnet zu haben, wie altmodisch und ungeschickt das Licht gesetzt ist.Bei teils sehr dunklen Gemälden fällt es nicht weiter auf, weil der Schatten praktisch verschluckt wird, aber hellen Himmeln, wie hier in Caspar David Friedrichs Werk Das brennende Neubrandenburg, ist es schon arg störend, einen Streifen dunkleren Himmels zu sehen. Vor dem Bild sieht es im ersten Moment wirklich so aus, als hätte Friedrich dort ein dunkleres Blau eingesetzt.
Als jahrelanger Verfechter von Drucken – Originale können sich die wenigsten leisten, ausserdem sollten sie in Museen hängen, nicht im Keller eines Privatiers – muss ich feststellen, dass manch Original im Druck kaum sinnvoll wiederzugeben ist. Während über lange versucht wurde, eine glatte Oberfläche zu erreichen, den Augeneindruck zu imitieren, begannen Maler im 19. Jahrhundert das Material des Bildes selbst hervorzuheben. Noch nicht, wie ab den 1950ern, als das Material zum Subjekt wurde, sondern um [Licht-] Effekte zu erreichen.
Diese beiden Ausschnitte aus Max Liebermanns Wagen in den Dünen bei Katwijk zeigen, wie dick der Maler die Farbe aufgetragen hat; steht man im Museum vor dem Bild und wechselte ein wenig die Position, vor und zurück, links-rechts, verändern sich auch die Farben und das Relief etwas. Man erhält quasi mehrere Gemälde zum Preis von einem.
Da ein Foto und damit auch ein Druck die Dreidimensionalität der Oberfläche nicht einfangen kann, entgeht einem leider ein wichtiger Aspekt des Bildes. Zum Glück gibt es Museen, die auch den weniger Begüterten Kunstgenuss bereitstellen.
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