Verbot ≠ Verhinderung

Es nervt. Oder besser: Die nerven. Ganz genau nerven jene Leute, die sich in Onlinekommentaren oder Zeitungskolumnen darüber auslassen, dass es in Deutschland keine Meinungsfreiheit gäbe. Und dabei fröhlich davon Gebrauch machen. Mal wieder.

Offenbar hält jemand sie davon ab, ihre hochwichtige Meinung zu veröffentlichen. sie dürfen nicht sagen, was sie denken. Seien wir fair: Glauben zu denken.

Zuerst waren es die ganz, ganz rechten, die sich beschwerten. Damals, in der Steinzeit. Oder den 1950ern, ein Unterschied, den viele Menschen nicht mehr machen. Das war auf ihren Gedenkmärschen an Hess. Heute beschweren sich Menschen, die von sich sagen, sie seien die ‘bürgerliche Mitte’ darüber, dass sie die Millionen Opfer des Holocaust nicht beleidigen dürfen, indem sie ihnen absprechen, erlebt zu haben, was sie erlebt haben.

Ein Verbot der Holocaust-Leugnung finden sie ganz fürchterlich, weil Meinungsfreiheit. Als ob die Leugnung einer Tatsache nicht mehr als eine Meinung wäre. In den meisten Fällen ist sie einfach nur albern:

Die Sonne geht gar nicht jeden Morgen auf! Es gibt gar keine Sonne!

Wer dies ernsthaft behauptet, würde sicherlich Angebote zur Einweisung in die psychiatrische Abteilung bekommen. So gesehen kommen Holocaust-Leugner recht günstig weg. Ebenso wie Volksverhetzer. Aus dem Gefängnis kommt man nämlich leichter wieder raus, vor allem hat man von Anfang an eine Perspektive, wann es so weit ist. Wenn sie denn einfahren.

Die Existenz der Sonne zu abzustreiten, ist ein recht einfaches Beispiel. Das ist selbst dann als Blödsinn erkennbar, wenn man nicht viel über Astronomie weiss. Es beleidigt auch niemanden.

Wer meint, ein Verbot sei automatisch eine Verhinderung, versteht das dritte V im Bunde nicht: Verantwortung.

Ein Verbot, ob privat ausgesprochen oder gesetzlich verankert, verhindert aus sich heraus überhaupt nichts. Es sagt uns nur, was eine Tat kosten wird. Es hindert niemanden daran, sie auszuüben. Andere Menschen tot zu schlagen, ist verboten. Trotzdem werden Menschen tot geschlagen. Es ist verboten, jemanden zu bestehlen. Und doch wird täglich Diebstahl begangen.

Selbstverständlich möchten wir als Gesellschaft gern, dass Verbote eingehalten werden. Erfahrungsgemäss hält sich aber nicht jeder dran, am wenigsten, wenn Täter wissen, dass sie nicht zur Verantwortung gezogen werden. Im grossen und ganzen ist es für sie eine Kosten-Nutzen-Rechnung: Gewinne ich durch meine Tat mehr, als ich verliere, wenn ich zur Verantwortung gezogen werde.

Es bleibt jedem selbst überlassen, ob er seine Meinung äussert. Natürlich nicht überall. Aber das Löschen oder Nichtzulassen von Kommentaren unter einem Blogpost, die Nichtveröffentlichung eines Leserbriefes in der Zeitung ist keine Zensur. Jeder kann ein Blog führen und dort schreiben, was er oder sie möchte. Das ist gar nicht schwierig und auch nicht teuer.

Allerdings soll sich niemand beklagen, dass andere ihre Meinung auch veröffentlichen. Das dürfen sie nämlich genauso. Es ist auch keine Einschränkung der Meinungsfreiheit, Gegenwind zu geben. Wer Kritik und Ablehnung bereits als Zensur sieht, hat ein sehr ernsthaftes Problem, das ihn aus jeder sinnvollen Diskussion ausschliesst. Daran kann er nur selbst etwas ändern, die anderen sind nicht schuld daran.

Ausserdem kann er sich nicht aus der Verantwortung stehlen. Zur Meinungsfreiheit gehört, Verantwortung für die eigene Meinung zu übernehmen. Beleidige ich jemanden persönlich, finde ich mich möglicherweise vor einem Zivilgericht. Manchmal bekomme ich auch einfach nur einen in die Fresse. Auch der Aufruf zu einer klar definierten Straftat kann kaum kostenfrei von der Meinungsfreiheit gedeckt sein, sonst könnten wir ganz einfach alle Gesetze, Gerichte und die Polizei abschaffen.

Das Verbot einer Meinung gibt es sowieso nicht. Sie dürfen denken und meinen was und so viel sie lustig sind. Oder ernst. Das Verbot, Ihre Meinung öffentlich kund zu tun, ist ein Angebot: ‘Wenn Sie X sagen wollen, kostet sie das R.’ Gehindert an einer Meinungsäusserung werden sie nur in Einzelfällen, unter bestimmten Umständen. Wenn die konkrete, aktuelle Folge grössere Gewalttaten wären, könnte der Staat in Form seiner Organe sehr viel tun, um Ihre Äusserung zu verhindern.

Jammert also nicht von Zensur in Deutschland, wenn ihr in Wirklichkeit meint:

Ich will aber unwidersprochen und ohne Konsequenzen meinen Dreck ablassen!

Notes:
1. Die Rechnung muss nicht bewusst ablaufen, sie ist auch nicht fehlerfrei. Kriminelle neigen bsplw. dazu, ihre Chancen und Möglichkeiten zu überschätzen.
2. Richtig, selbst ausgeführte Straftaten, wie Einbrüche, wären dann Meinung. Think about it.
3. Seien wir froh, dass diese Art von Angebot noch nicht im marktwirtschaftlichen Sinne betrieben wird. Dann würden die Donald Trumps dieser Welt als einzige öffentlich was sagen dürfen.
Die Rechnung muss nicht bewusst ablaufen, sie ist auch nicht fehlerfrei. Kriminelle neigen bsplw. dazu, ihre Chancen und Möglichkeiten zu überschätzen.
Richtig, selbst ausgeführte Straftaten, wie Einbrüche, wären dann Meinung. Think about it.
Seien wir froh, dass diese Art von Angebot noch nicht im marktwirtschaftlichen Sinne betrieben wird. Dann würden die Donald Trumps dieser Welt als einzige öffentlich was sagen dürfen.

2 thoughts on “Verbot ≠ Verhinderung”

  1. Pingback: Die große Produktempfehlungsrunde | apropos garnix

  2. Lüko Willms

    “Was darf die Satire? Alles!” — Kurt Tucholsky.

    Natürlich findet in Deutschland Zensur statt, Maas als Justizminister hat zur Erweiterung der Zensur noch das Gesetz durch den Bundestag gepeitscht, wonach schwer bestraft wird, wer nicht schnell genug zensiert. Und damit ermutigt, hat die Polizei vor wenigen Tagen in dutzenden von Fällen Hausdurchsuchungen gemacht wegen Gedankenverbrechen.

    Es geht auch richtiger nicht um Meinungsfreiheit, sondern um Redefreiheit, die Freiheit, aussprechen, was ist, und was man denkt, ohne vorher darüber nachzudenken, ob der Führer oder der Große Bruder oder der Eigentümer der Presse es unmöglich machen will, daß das allgemeine Publikum die Tatsachen wahrnimmt.

    Die Pressefreiheit ist die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten, schrieb der konservative Paul Sethe 1965 in seinem berühmten Leserbrief “Ich bin nicht links!” an den Spiegel. Inzwischen muß man von den 200 eine Null wegnehmen, um die wirklichen Verhältnisse wiederzugeben.

    “Gedankenfreiheit genoß das Volk,
    die war für die großen Massen.
    Beschränkung traf nur die wen’gen
    die drucken lassen”

    spottete Heinrich Heine in seinem Wintermärchen über die seitdem nicht veränderten deutschen Zustände (Caput XXV, falls Sie das nachlesen wollen).

    Wenn Sie den Großen Bruder und seine Gleichschaltung der Presse gutheißen, dann stehen Sie auf der anderen Seite der Barrikade, auf der Seite der Monarchen, der Diktatoren.

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