Wenn Daten auf Realität treffen

Fahrradfahrer strampeln sich die Steigung hoch Im Moment ist es zur Abwechslung nicht die Google-Sau, die durchs Dorf getrieben wird, sondern Facebook und Co. Denn “das Internet” ist böse …

Der folgende Text hängt sich zwar an Google Street View auf – einem Service, der mir gerade sehr geholfen hat, ein Gefühl für den neuen Ladenstandort eines Kunden zu erhalten –, gilt aber darüber hinaus. Der Text wurde gegenüber seiner Originalveröffentlichung auf einer älteren Version meines Blogs nur geringfügig überarbeitet. Wer es also schon kennt, darf gerne weiter gehen.

… denn ohne Google geht das Internet ja gar nicht. Denn Google will uns alle verkaufen. Denn Google will die Weltherrschaft. Google – das ist ein körperloses Riesenauge auf einem dunklen Turm hinter den Bergen in Mordor.

Was hat Google diesmal Böses getan? Bei Fahrten durch die Gegend benutzt Google Geräte, mit denen WLANs geortet werden können. Das haut mich aus den Socken! Mein Handy macht das, viele Notebooks auch, Netbooks und Tablets sowieso. Die loggen sich noch dazu in offene Netze ein, senden und empfangen Daten – OMG! – über die WLANs. Die Welt geht nicht unter, sie ist bereits untergegangen.

Finden, nicht suchen

Fangen wir noch einmal ganz vorne an. Da gibt es ein Unternehmen, das seinen Anwendern kostenlos Dienstleistungen anbietet, um sich in der Welt zurecht zu finden. Das begann mit einer ganz einfachen Suchmaske, hinter der sich eine Reihe von Algorithmen verbergen, die es jedem, der eine Tastatur bedienen kann, ermöglicht, für ihn interessante Daten im Internet zu finden. Dabei kann es sich um das passende paar Socken handeln, einen Typen, der unheimlich viel über Modelleisenbahnen weiß, die Telefonnummer eines Unternehmens.

Zwichen den kleinen weißen Häusern Hamburg-Blankeneses schängeln sich Treppen Viele, viele Menschen fanden das so gut, dass sie die Konkurrenten, die Ähnliches machen, gar nicht mehr aufsuchen. Wer ist Altavista? Wussten Sie, dass Yahoo eine Suchmaschine ist? Schon mal bei MetaGer gewesen? Das neue Unternehmen war erfolgreich, weil es den Anwendern bot, was sie wollten: einfache Bedienung, schnelle und treffende Suchergebnisse, keine aufdringliche Werbung. Heute ‘suchen’ wir nicht mehr, wir ‘googeln’; der Name des Unternehmens ist generischer Begriff geworden wie Tempo oder Velcro.

Monopol

Als erstes schrien natürlich die Mitbewerber auf, beschwerten sich bald darüber, dass Google erfolgreicher war als sie. Sie formulierten das anders, deuteten an, wie gefährlich Google sei, weil es so groß werde, weil keiner wisse, was die machen. Diese PR wurde nach einigen Jahren von Politkern und Politfunktionären aufgenommen, fröhlich weiterverbreitet und selbstverständlich angespitzt:

Google ist ein gefährliches Monopol!

Zeitungsverlagssprecher warnen uns inzwischen täglich vor dem Meinungsmonopol Google. Und meinen damit, dass sie selbst immer noch zu blöde sind, die Renditen zugunsten von Investitionen zu senken.

Abendsonne im September: Beim Alstervergnügen Wo ist Google eigentlich ein Monopol? Bei Suchmaschinen, bei Office-Anwendungen, bei Straßenplänen und Navigation, bei Social Networking, im Journalismus, im Anzeigenverkauf? Nirgendwo, denn in jedem Bereich, in dem Google sich bewegt, gibt es reichlich Konkurrenten – oft sogar erheblich erfolgreichere. Somit ist Google auf keinen Fall ein Angebotsmonopol, und ein Nachfragemonopole sehe ich noch weniger. Google ist erfolgreich, das ist alles. Die Firma überzeugt bis heute viele Nutzer durch hervorragenden Service und hat damit eine Marke geschaffen.

Daten und Informationen

Richtig ist, Google sammelt Daten jeglicher Art, Texte, Bilder, Töne und und und. Daten sind überall um uns rum, das ganze Leben, die ganze Welt, alles besteht aus Daten [genau genommen besteht sie nicht aus Daten, die Daten sind nur Splitter der Realität, die wir verarbeiten können]. Wenn wir die Augen öffnen, verarbeiten wir Daten, wenn uns Geräusche erreichen, verarbeiten wir Daten, unsere Nase nimmt Daten auf, wir spüren Daten auf der Haut.

Alle fotografieren beim Geburtstag von Hamburgs Hafen Eigentlich sollte klar sein, dass all diese Daten gar nicht geschützt werden können, die sind da und wir nehmen sie wahr oder nicht. Die Daten haben auch keinen inherenten ökonomischen oder moralischen Wert, sie sind. Verbinden wir Daten allerdings miteinander, so dass aus der Verknüpfung etwas Neues entsteht, dann erhalten wir Informationen – und die sind wertvoll.

Ein Beispiel: 9.4. ist ein Datum, was für eines, wissen sie nicht. Sie können aus den Ziffern vorne nicht einmal schließen, welcher Kategorie – wiederum ein Datum – das Datum angehört. Sage ich Ihnen, dass die Zahlen einen Tag symbolisieren, sind sie schon weiter, können aber immer noch nichts damit anfangen. Es handelt sich um den neunten April. Aber ist dieses Datum schützbar?

  • Am 9. April 1940 begann die Invasion Dänemarks und Norwegens, sowie die Schlacht von Narvik.
  • Am 9. April 1967 flog das erste Mal eine Boeing 737.
  • Am 9. April 1844 wird Nestroys Der Zerrissene uraufgeführt.
  • Am 9. April 1932 wurde Carl Perkins geboren
  • Am 9. April 1966 wurde ich geboren.

Welches der oben genannten Daten ist jetzt schützbar? Mindestens drei sind direkt personenbezogen, in einem Fall handelt es sich um das Geburtsdatum einer unbekannten Person, die noch lebt. Tatsächlich lassen sich, wenn wir einmal bei mir bleiben, weitere Informationen aus meinem Geburtsdatum ableiten, die nicht nur mich betreffen, z.B. dass meine Eltern vermutlich Mitte/Ende Juni 1965 fruchtbaren Sex hatten. Kennt man jetzt noch den Hochzeitstermin, lassen sich weitere Rückschlüsse ziehen – war es vorehelicher Sex oder nicht? Diese Daten haben wiederum Auswirkungen auf Familienmitglieder.

Wie wir es drehen und wenden, jedes Datum kann potenziell interessante bis gefährliche Informationen auslösen. Und doch wollen wir uns nicht alle in irgendwelche Kellerlöcher verkriechen und hoffen, dass niemals irgendwas über uns bekannt wird?

Street View

Wir alle finden Google Maps echt klasse, weil wir schnell, einfach und kostenlos Straßenpläne und sogar Satellitenfotos fremder Gestade ansehen können. Wir sehen vorab, wo wir auf unseren Wegen etwas Interessantes finden könnten, wir lassen uns Fahrstrecken ausrechnen. Nun sind Luftaufnahmen, Landkarten und Straßenpläne nicht wirklich intuitiv, geht es darum uns zurechtzufinden. Jeder kennt mindestens einen Beifahrer, der Schwierigkeiten hat, uns durch unbekanntes Terrain zu lotsen.

Auch dafür hat Google eine Lösung: Street View. Es wird einfach die reale Umgebung in die Karte eingesetzt, so dass wir beinahe wie im richtigen Leben sehen, wo wir uns bewegen [wollen]. Die erste Anwendung, die mir dabei in den Sinn kommt, ist der Urlaub, Tourismus. Ich fahre zu Hause nicht mehr nur mit dem Finger die Straßen und Kanäle Venedigs ab, ich kann sie mir ansehen, einen Eindruck gewinnen, was mich erwartet.

Das Konzept ist alles andere als neu, touristische Führer und Bildbände bieten das seit bald hundert Jahren an, Reisebeschreibungen, wie Goethes Italienreise, und Malereien waren das bevorzugte Mittel vor Erfindung der Fotografie. Nur die technische Umsetzung hat sich mit Google verändert.

Ganz praktisch

Mönckebergbrunnen - damals noch mit US Fast Food. Sollten die überängstlichen sich durchsetzen, dann muss zwangsläufig jede Fotografie auf öffentlichen Straßen und Plätzen verboten werden. Straßenfotografie findet dann nicht mehr statt, weder aus berechtigten ökonomischen Interessen noch aus touristischen Gründen oder gar zu künstlerischen Zwecken. Eine Aufnahme des Mönckebergbrunnens für die Website eines Geschäftes, das darin betrieben wird – geht nicht. Eine Aufnahme des gleichen Gebäudes für Ihr Urlaubs-Blog – geht nicht. Eine Aufnahme für einen Bildband mit Hamburgs historischer Architektur … Raten Sie mal.

1 thought on “Wenn Daten auf Realität treffen”

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