Wir schaffen–vor allem zu jammern

Riding the Dragon

Da ist Ihre neue Aufgabe, machen Sie mal. Wie, Sie schaffen das nicht, Sie haben es doch noch nicht mal versucht? Gut, wenn Sie genau wissen, dass Sie dazu nicht in der Lage sind, brauchen wir Sie auch sonst nicht.

Ein Satz, ein kurzer noch dazu. Der erste Satz von Angela Merkel, dem ich, auch in seiner politischen Konsequenz, voll zustimme. Und was hat er ihr gebracht – Ärger in ihrer Koalition, fallende Umfragewerte, Häme, weil viele Kommunen, die nämlich die tägliche Arbeit rund um die ankommenden Flüchtlinge machen müssen, es nicht schaffen.


Besonders übles Beispiel ist Berlin, das Bundesland, Gemeinde, Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland gleichzeitig sein muss, ohne dafür ausgestattet zu werden.

Jahrzehntelang wurde die öffentliche Verwaltung runter gefahren, begründet mit einer Mischung aus ‘weniger Staat ist immer gut’ und ‘wir müssen sparen’. Steuern als Einnahmen wurden zu einem Grundübel dämonisiert und viele Menschen glauben das, könnten sie doch viel mehr Geld in der Tasche haben, müssten Sie nichts an “den Staat” abführen. Viele Aufgaben werden jetzt nicht mehr als inklusive Leistung der Gemeinschaft gesehen, sondern nach dem Verursacherprinzip verkauft. Sie wollen einen Personalausweis, dann zahlen Sie gefälligst ordentlich dafür.

Der Abbau von Stellen im öffentlichen Dienst betrifft selbstverständlich jene Ämter am stärksten, die lange Zeit die wenigste Arbeit hatten. Oder auch: Wenn jede Woche nur 3 Flüchtlinge kommen, brauchen wir auch nur einen Mitarbeiter. Macht der Urlaub oder ist krank, müssen die drei halt mal ein wenig warten. Nach allem, was ich höre, kennen auch eingeborene Berliner dies. Behörden werden auf Minimalandrang gefahren. Geht auch gut. Wenn sonst nichts ist.

Jetzt kommen pro Woche mehrere hundert Menschen aus Kriegsgebieten und hätten gerne Asyl. Langfristig betrachtet sicher der Sonderfall, für den es allerdings keine Pläne zu geben scheint. Niemand weiss, wie man diese Menschen sinnvoll unterbringt. Niemand weiss, wo die Mitarbeiter herkommen sollen, die zur Aufstockung z.B. des Lageso benötigt werden. Niemand weiss, wie man Integration ausbuchstabiert.

Jeder aber scheint zu wissen, dass wir es eben nicht schaffen. Nicht schaffen können. Denn da kommen ja viele Menschen. Mehr als 3. Sie kennen vielleicht diese immer wiedergekäuten anthropologischen Anekdoten über irgendein Zwergvolk irgendwo in eine einsamen, sturmumtosten Gegend, die uns gerade wie ein weisser Fleck auf der Landkarte vorkommt, das nur die Zahlen ‘1’, ‘2’, ‘3’ und ‘viele’ kennt.

Es sieht so aus, als wären wir dieser seltsame Stamm.

Dabei sind wir doch vor kurzem noch so stolz gewesen. Exportweltmeister. Wieder. Und wieder. Und noch einmal! Ein stabiles politisches System, eine stabile Gesellschaft, die allen Weltwidrigkeiten trotzt und ökonomisch toll dasteht. Wir haben offiziell kaum noch Arbeitslose. Wir haben weder Inflation noch eine nennenswerte Preissteigerung. Wir sind wieder wer!

Vor allem sind wir Schönwetter-Bürger. Solange alles unauffällig gut läuft, sind wir gerne für Menschenrechte, gegen Gewalt, dafür anderen zu helfen. Erst recht, wenn diese Anderen dort bleiben, wo wir sie höchstens im Urlaub mal von Ferne sehen. Selbstverständlich vermeiden wir Urlaub in fremden Ländern, also, wirklich im fremden Land. Wir buchen uns in eine Ferienanlage, in der wir möglichst viele Deutsche um uns haben. Auch ein paar US Amerikaner, Spanier und Briten, die für unsere Anekdoten und Klagen notwendig sind.

Wir kennen die Menschen aus dem Libanon nicht, aus Ägypten, aus Syrien, dem Irak, dem Iran, Indonesien … Wir kennen aber die Nachrichten von dort. Die sind ganz schrecklich. Nun ist es das Wesen der Nachricht – nein, nicht schrecklich zu sein – das Aussergewöhnliche zu berichten. Das tägliche Leben unter Normalbedingungen gibt es selten zu sehen, das gilt für die Nachbarschaft ebenso wie für die Ferne. Ja, je weiter weg ein Ort uns ist, desto auffälliger wird die Nachricht über Gewalt und Krieg. Oft die einzige Nachricht, die wir hören.

1989 kamen ganz viele Menschen zu uns, erst zigtausende, die vor ihrer diktatorischen Regierung und den miesen Lebensverhältnissen über die Grenze in die BRD flüchteten. Zum Glück gab es dafür eine über Jahrzehnte gut ausgebaute Infrastruktur mit Auffanglager, vielen Mitarbeitern, Prüfungsorganisation, Begrüssungshilfen. 1990 nahm die reiche Bundesrepublik auf einen Schlag über 16 Millionen Menschen auf.

Gegen die Argumente der Miesmacher, dass es wirtschaftlich kaum zu verkraften sei, dass es mindestens zwei, wenn nicht mehr Generationen bräuchte, alle zu integrieren, ihnen denselben Lebensstandard zu geben, den man sich seit 1949 erarbeitet hatte, nahmen wir diese Menschen auf und halfen, wo es nur ging. Der Bundeskanzler hatte, ziemlich im Alleingang, entscheiden

Wir schaffen das!

Bei allem, was falsch gelaufen ist, wir haben es geschafft.

Deutschland ist heute reicher als je zuvor, aussenpolitisch stabiler, selbst innenpolitisch strapazierfähig, die Staatseinnahmen sind hoch. Viele Menschen wollen den ankommenden Flüchtlingen helfen, sie tun es – ganz freiwillig. Sie zeigen das freundliche Gesicht Deutschlands, das im letzten Jahrhundert so oft vermisst wurde. Es ist ein guter Zeitpunkt, Geld in die Verwaltung zu stecken, in eine mögliche Neuausrichtung staatlicher Aufgaben.

Merkels ‘Wir schaffen das’ ist auch ein Aufruf, Probleme anzupacken, nicht nur jammernd davor zu stehen und aufzugeben, bevor es schlimm wird. Sie weiss auch, dass wir an der gegenwärtigen Situation nicht scheitern dürfen, weil wir – als Staat, als Gemeinschaft, auch in der Staatengemeinschaft – keine Daseinsberechtigung hätten. Wir müssen die Sonntagsreden der Vergangenheit ernst nehmen, jetzt. Wir müssen leisten, wir müssen schaffen, wir müssen beweisen.

Beweisen, dass die Europäische Union mehr ist, als eine wirtschaftsoptimierte Quasselbude. Beweisen, dass wir Menschenrechte bei uns umsetzen, auch wenn es anstrengend aussieht. Beweisen, dass wir mehr können, als auf andere zeigen.

Wir schaffen das.

Oder bleiben wir nur bequem?

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